Mein genialer Freund
18. Dezember 2017 - 20:59 UhrRede zur Eröffnung der Ausstellung komischer Zeichnungen von Robert Gernhardt
Am 14. Dezember 2017 im Caricatura-Museum Frankfurt
Poeten, die nicht zeichnen können,
sollten’s besser lassen.
Das gilt für Günter Kunerten,
das gilt für Günter Grassen.
Das gilt für all die Kritzelnden,
die zagen wie die forschen,
für Friederiken Mayröckern
als auch für Gerald Zschorschen.
Ein Maler, der nicht zeichnen kann
Und’s tut, der sei verworfen.
Das zielt auf Paule Wuderlich
Und Jörge Immendorfen.
Auf Fettingen und Salomen,
auf sie und ihre Sachen.
Und eine, die’s noch schlimmer treibt.
Sie heißt Elvira Bachen.
Robert Gernhardt kommt in diesem Gedicht nicht vor. Das ist kein Wunder, denn 1. hat er es selber geschrieben und 2. ist er natürlich ein großartiger Zeichner, wie diese schöne Ausstellung ein weiteres Mal für alle Welt sichtbar beweist. Ich hoffe sehr, dass alle Welt kommt, um sie sich anzuschauen.
Es geht hier und heute aber nicht um Gernhardts Lyrisches Werk, was ich ein bisschen bedaure, denn ich hätte Ihnen gerne stundenlang seine großartigen Verse und von diesen vor allem die polemischen wie eben und die vielen komischen vorgelesen. Heute geht es um seine Zeichnungen.
Wir alle wissen von der sagenhaften Doppel- ja Vielfachbegabung des leider so früh verstorbenen Künstlers. Und ich darf sagen, dass ich vielleicht noch ein bisschen mehr weiß, denn er, Bernd Eilert und ich haben an die 30 Jahre lang als Autorenteam zusammengearbeitet. Darüber hinaus waren wir gute Freunde.
Ich bitte also um Verständnis dafür, dass das, was ich heute einleitend zu dieser Ausstellung zu sagen habe, etwas persönlicher gerät, als es ein Fachvortrag etwa zum Thema „komische Zeichnung und ihre Folgen“ geworden wäre. Außerdem ist dazu das allermeiste auch schon gesagt. Wenn nicht von F.W. Bernstein, dem Studienfreund und Kunstverbündeten von Robert, im großem Buch der Zeichnerei, dann natürlich von Gernhardt selber. U.a. in seinen „10 Sätzen betreffend Komik, komische Zeichnung, bildende Kunst und Literatur“.
Wie so häufig in seinen theoretischen Schriften wettert er mit Inbrunst gegen die Dumpf-Abstrakten der Nachkriegszeit, bricht –vor allem in seiner polemischen Suada „der letzte Zeichner“ Lanze um Lanze für die gegenständliche Malerei und schreibt schließlich zur komischen Zeichnung:
„Die komische Zeichnung will immer irgendwas. Sie will Augen öffnen für, Partei ergreifen gegen, Stellung nehmen zu, aufmerksam machen auf, lachen machen über. Hier, jetzt und gleich. Deshalb musssie rasch produziert und schnell unter die Leute gebracht werden. Noch der viel-, doppel- und zweideutigste Witz verfolgt eindeutig eine Absicht, meist eindeutige Absichten. – Die bildende Kunst will natürlich auch irgendwas. Aber was will die bildende Kunst eigenlich.? Noch der unbedarfteste abstrakte oder fotorealistische Pinselschwinger tritt mit dem Anspruch einer vieldeutigen Aussage an. Um so schlimmer für ihn, wenn er eindeutig Scheiß baut.“
Sie sehen schon, es bereitet eine gewisse Freude, Robert Gernhardt lesend bei seinen Herumbolzereien in Kunstgeschichte und Kunstgegenwart zu begleiten. Noch viel größere Freude stellt sich allerdings beim Betrachten seiner komischen Zeichnungen, Illustrationen, Karikaturen und Cartoons ein. Sie werden´s erleben.
Wenn Gernhardt dichtete, wenn er kunsttheoretische Artikel verfasste, wenn er kritische Essays schrieb und wenn er zeichnete, tat er dies allein. Das schien uns immer umso verblüffender, weil Bernd Eilert und ich ja über Jahrzehnte viele Tage stundenlang mit ihm zusammen waren. Woher hat der Mann die Zeit genommen? Gemeinsam haben wir hunderte von Sketchen, reichlich Radio- und Fernsehserien, Bühnenshows, Fernseh- und Filmdrehbücher verfasst, wir haben gemeinsam die Satire-Zeitschrift Titanic in die Welt gesetzt und auch für dieses Projekt schreibend und organisierend unendlich viel Zeit investiert.
Alle Tendenzen, das unterhaltende Werk Gernhardts, das riesige Konvolut an showbühnentauglichen komischen Szenen und Sketchen beiseite zu schieben oder gar Vergessen zu machen, sind natürlich zum Scheitern verurteilt. Schon deshalb, weil er selbst von der verschnarchten U- und E-Kunstunterscheidung überhaupt nichts hielt.
Aber natürlich hat er darüber hinaus, davor, danach und zwischendrin noch viel mehr geleistet. Er war unglaublich fleißig und produktiv. Sein schrifstellerisches, dichterisches und zeichnerisches Werk umfasst geschätzte anderthalb Meter nicht nur in meinem Bücherregal. Nach Auswertung seiner Kladden, der Brunnenhefte, wird auch in Zukunft immer noch dazu kommen.
Kurze Abschweifung: In Anlehnung an den in den letzten Monaten recht populären Roman „Meine geniale Freundin“ der Italienerin Elena Ferrante, gestatte ich mir deshalb, meinem kleinen Vortrag heute die Überschrift „Mein genialer Freund“ zu geben. In Ferrantes Roman kommt es allerdings im letzten Drittel des 1. Bandes zu einer überraschenden Volte. Da nennt nämlich die beschriebene Freundin die Ich-Erzählerin ihre „geniale Freundin“. Das Attribut „genial“ im Titel gilt also nicht der Freundin, sondern der Erzählenden, womöglich Frau Ferrante selber. Diese Variante möchte ich für mich hier und heute ausschließen. Genial war er.
An der Entstehung und Ausführung all der witzigen Zeichnungen, Bildgeschichten, Carricaturen und Cartoons dieser Ausstellung war ich nicht beteiligt. Ich war und bin, wie Sie heute, Betrachter, Bestauner, Bewunderer und kann, obwohl ich die meisten Sachen schon kenne, immer noch darüber lachen.
Eine kleine Einschränkung zu dem vorher gesagten möchte ich aber doch machen: Nein, nein, nicht zum Genie. Dabei bleibt’s. Aber Robert war doch nicht immer allein, wenn er gezeichnet hat. Es gibt in meiner Erinnerung drei wiederkehrende Situationen, in denen ich dabei war, wenn er zeichnete. Die will ich Ihnen schildern.
1. Situation: Nach gemeinsamen Lesungen von gemeinsam verfassten Texten, in diversen kleineren und größeren Sälen überall in Deutschland bestand für die Zuhörer am Ende der Veranstaltung immer die Möglichkeit, sich unsere Bücher signieren zu lassen. Da gab es dann eine ziemlich lange Schlange von Leuten mit Taschen und Tüten voller Gernhardt-Bücher. Und Robert fragte aber auch jeden dieser Menschen, was er denn für ein Lieblingstier habe und zeichnete dann die genannten Hühner, Frösche, Affen, Hündchen oder Elefanten sehr gekonnt neben seiner Signatur in das jeweilige Buch. Er konnte einfach alles! Aber natürlich zog sich das hin. Wir hatten derlei Fertigkeiten nicht zu bieten, hatten auch deutlich weniger Fans und zu signierende Bücher und bei aller Bewunderung der Gernhardtschen Zeichenkünste, hatten wir nach vollbrachter Lesung doch vor allem Hunger und gelegentlich tierischen Durst. Merke: es ist nicht immer vorteilhaft, einen tollen Zeichner zur Seite zu haben. Aber, es kann auch ganz anders kommen:
2. Situation. Zum Ausdenken eines der Otto-Filme hielten wir uns für ein paar Wochen in dessen Haus in Florida auf. An einem arbeitsfreien Wochenende zogen Robert und ich dann los in die Everglades. Dieses unter Naturschutz stehende, riesige Mangrovensumpfgebiet bot uns die Möglichkeit einer kleinen, gemeinsamen Passion nachzugehen: Birdspotting. Dieses Hobby -Vögel bestimmen- haben weder er noch ich je an eine öffentliche Glocke gehängt, aber bei Spaziergängen oder so hieß es immer mal wieder „siehst Du den?“ „Ja, Turmfalke“, „Richtig. Hörst Du das?“ „Elster? „Eher Eichelhäher“ – na und so weiter. In Florida ist das natürlich noch mal eine ganz andere Sache. Da kannten wir die meisten Vögel ja gar nicht und mussten sie uns also erst mal beschreiben. Und das ging so: In einiger Entfernung läuft auf Blättern am Wasser ein ziemlich bunter Vogel vorbei. Da! Ich reiße das Fernglas hoch, Fotoapparat war nicht dabei, Robert nimmt Block und Stift zur Hand und zeichnet schnell den ungefähren Umriss des Vogels. „Sehr hochbeinig“ sage ich, „ ca. 30 cm lang. Schnabelspitze gelb, Restschnabel rot, Kopfblesse hellblau,“ „das gibt’s doch nicht“ sagt er, nicht vom Blatt aufschauend..“ Doch“ sag ich, „schreib´s dran. „ Hals dunkellila. Flügelansatz grünmetallic, Rest bräunlich oder auch grün metalic.“ Er schreibt weiter die angegebenen Farben mit Pfeilen an des gezeichnete Tier. Das Original ist inzwischen weggerant. „Füße?“ „Knallgelb“. „Unter den Flügeln?“ Hab ich nicht genau gesehen. Vielleicht weiß. Es hat geblitzt.“
Auf diese Weise entstehen also allerlei Skizzen, Notizen und kleine Zeichnungen aus der Vogelwelt Floridas und am Abend schauen wir dann im regionalen Vogelbestimmungsbuch nach, vergleichen, machen Häkchen, stellen fest, dass wir ca. 50 % der möglichen Vögel gespottet haben – inclusive dem eben beschriebenen American purple Gallinule…dem hierzulande unbekannten Zwergsultanshuhn. Und nicht, wie Sie womöglich gedacht haben, der Teichralle! Ist es nicht herrlich, einen Zeichner an seiner Seite zu haben?
Doch nun zurück zur Kunst der komischen Zeichnung und Situation Nr. 3:
Robert war 42 Jahre alt, als im Haffmanns-Verlag in Zürich in einer limtierten und nummerierten Auflage sein schöner, ja geradezu prächtiger Bildband „Die Magadaskarreise“ erschien. Den Band mit der Nr.4 hat er mir damals geschenkt. Ich habe ihn vor Kurzem nach vielen Jahren erstmals wieder in die Hand genommen und finde – ich glaub, ich seh nicht recht – folgende längst vergessene Widmung: „Für Pit, ohne dessen Anwesenheit die meisten der Zeichnungen wohl gar nicht entstanden wären. Robert am 30. 10. 1980“
So. Und wie nun das? Im Nachwort erklärt er es selber.
„Die Zeichnungen zeichnete ich während der letzten Jahre und ich zeichnete sie stets in Gesellschaft. Meist, wenn ich mit den Freunden über Radiotexte nachdachte… Ich zeichnete nicht aus Langeweile, nicht weil meine Gedanken woanders waren, als beim gerade anstehenden Thema, im Gegenteil. Die Gedanken waren voll und ganz beim Thema, die Hand glitt über das Papier und bewegte sich selbstständig fort.“
Ein unbewusstes Gekritzel also, wie er es selber nennt, ziemlich suggestive, fast traumhafte Zeichnungen, wie ich sie nenne.
„Immer schon“ schreibt Gernhardt in seinem Nachwort weiter, „wollte ich ein Abenteuerbuch schreiben. Und irgendwann kam mir der Gedanke, meine Zeichnungen könnten ja auch als Reiseskizzen gesehen werden… Wenn es schon nicht möglich ist, wirklich nach Madagaskar zu reisen, zu einer Reise nach Magadaskar reicht es gerade noch.
Ich habe daher ausgesuchte Zeichnungen in einen Zusammenhang gebracht, indem ich ein, zwei Sätze hinzufügte. Sie haben nicht viel zu bedeuten, wie ja auch die Zeichnungen anders aussehen könnten.“
Entstanden ist aus dem Ganzen dann das längst vergriffene Buch „Die Magadaskar-Reise“. Sie haben Gelegenheit, sich einige der darin enthaltenen Blätter in dieser Ausstellung anzuschauen. Ich aber darf sagen: Ich bin dabei gewesen. Und habe es schriftlich.
Zum Thema „Dabei-Sein“ noch ein kleiner Hinweis: Die verdienstvolle Kuratorin dieser Ausstellung Lea Williman hat Bernd Eilert und mich zum Entstehen und Wirken des Autorenteams GEK – Gernhardt, Eilert, Knorr – interviewt. Das Interview wurde per Video aufgezeichnet und wen das interessiert, der kann es sich im 1. Stock des Museums anschauen.
Aber zurück zu ihm: Natürlich ist das Zeichnen von Tieren, oder unbewusstes Kritzeln nichts, was nicht auch andere Zeichner leisten könnten. Doch das vorsätzlich komische Zeichnen ist nur wenigen gegeben. Robert Gernhardt war einer von ihnen. Und er wusste die Freunde und Kollegen in dieser Kunst sehr wohl zu schätzen und zu würdigen. Aufsätze, Vorworte, Laudatien zu Hans Traxler, F.K.Waechter, Robert Crumb, Bernd Pfarr, Loriot, Kurt Halbritter, Volker Kriegel, Bernd Pfarr, Chlodwig Poth, Michael Sowa und natürlich die erhellenden Briefwechsel mit seinem Freund F.W. Bernstein sind schöne, lesenswerte Belege dafür.
Und bei seiner äußerst pfiffigen Würdigung von Wilhelm Busch, die er unter dem Titel „Eiskalte Pointen“ für den SPIEGEL verfasst hat, da übertrifft er sich selbst und kommt zum Punkt, zum komischen. Zitat:
„Machen wir es kurz: Ich möchte eine These auf- und zur Diskussion stellen. Ich behaupte, dass auf allen Wegen der modernen Kunst, sei es dem der Innovation, Expression oder Abstraktion, Karikaturisten stets führend, ja wegweisend vorangeschritten sind. Ihre Namen, nicht die vorgeblicher Avantgardisten, müssten die Kunstgeschichten rühmen. Dass sie es nicht tun, liegt im Desinteresse der Kunstgeschichtler.“
Und Gernhardt zeigt anhand von Bildbeispielen im Brustton der schlauen Entdecker-Überzeugung, wie Busch, der komische Zeichner, spätere Kunststilrichtungen vorweggenommen hat: den Jugendstil, den Pointilismus, den Expressionismus, den Kubismus, den Futurismus und so fortan über mehrere Stationen bis zur Popart und dem Konstruktivismus. So würdigt der Kenner den Könner. Und er verteidigt ihn vehement gegen alle Interpreten, die hinter der Komik unbedingt noch etwas anderes sehen wollen: tiefere Bedeutung, Hinter-Vorder- und Nebensinn. „Ich begreife nicht, „ sagt er „wieso pessimistische Hintergründe den Humor eines Humoristen besonders wertvoll machen sollten.“
Nein. Komik ist ein Genre. Es will Lust erzeugen, nämlich lachen machen. Sonst gar nix. Und das ist ja wahrlich genug, wenn’s gelingt. Das Lachen soll eben nicht im Hals stecken bleiben, denn da gehört es nicht hin. Es soll raus. Das war seine Meinung, das hat er praktiziert, mit all der dafür erforderlichen Frechheit, Bosheit und handwerklichen Könnerschaft.
Gewiss, er hat in seinen späten Gedichten ernste Töne angeschlagen, von sich selbst gesprochen und von seinen Gefühlen. Aber das ist ein anderes Kapitel.
Im Sommer 2006 ist R.G. nach langer Krankheit gestorben. Das war für a l l e, die ihm nahestanden, eine sehr traurige Zeit. Aber er ist unvergessen und wird es lange bleiben, denn er hat viel hinterlassen. Und genau das hat er gewollt und hat es betrieben. Es sollte etwas bleiben. Und es blieben viele Texte, vor allem, wie ich finde seine Gedichte – und eben auch die komischen Zeichnungen, die Sie nun in dieser großen Ausstellung zu sehen bekommen. Ich kann Ihnen versprechen: Es gibt viel zu lachen. Und es gibt vielleicht auch etwas zum Mitnehmen, zum Weitererzählen oder sich merken. Zum Beispiel diesen kleinen Zweizeiler zum berühmten und zumal in Göttingen hochumstrittenen Kragenbären, der dort einmal ein Denkmal werden sollte. Er lautet: „Der Kragenbär, der holt sich munter einen nach dem andern runter.“
Außerdem hätte ich zum Merken für Sie und eventuell auch Ihre Kinder noch einen gänzlich unumstrittenen 2-Bilder-Scherz von G. der in dieser Ausstellung nicht vertreten ist. Bitte achten Sie auf meine Hände:
1. Bild: „Dieser Strich ist ohne Makel …
2. Bild: Doch er endet im Gekrakel.“
Zum Schluss noch eine Frage: Mein genialer Freund hat sie gestellt und selbstverständlich auch beantwortet:
Was ist Kunst